Der publizistische Urschleim des Internets
25.11.2025 von Roland Grün
Bevor es Facebook, Instagram, LinkedIn & Co. in ihrer heutigen Form gab, war ich leidenschaftlicher Blogger. In Deutschland gehörte ich – ohne angeben zu wollen – zu den ersten, die das Format „Blog“ entdeckt haben. Das war 2001, kurz vor den Anschlägen des 11. September.
Bis dahin gab es Websites, sogenannte „private Homepages“, die zumeist ihren Platz in Unterverzeichnissen großer Anbieter wie AOL, Geocities und anderen fanden. Diese Firmen stellten den Webspace zur Verfügung, den dann jeder mit eigenen Inhalten befüllen konnte. Voraussetzung war damals zumeist, dass man zumindest über HTML-Grundkenntnisse verfügte. Aber selbst diese waren nicht immer eine Garantie für augenfreundliches Design.
Auch ich baute von 1997 an bis etwa 2000 „Homepages“, die ich dann ins Internet hochlud.
Was diesen Seiten fehlte, war ein Anlass, zurückzukehren, wenn man sie einmal besucht hatte. Manche ließen sich Rubriken einfallen, in denen sie kleine, aktualisierte Beiträge auf einer HTML-Seite untereinander schrieben. Das war meistens mühsam, weil auch die Änderungen im HTML-Format erledigt werden mussten.
Wachsende Komplexität für Websitebetreiber:innen, mehr Komfort für Leser:innen
Trotzdem fingen manche an, sich ganze Systeme auszudenken, wie sie die wachsende Anzahl an Beiträgen besser bewältigen und auch für die regelmäßigen Leser:innen besser verdaubar präsentieren konnten. Für die Betreiber aber hieß das zunächst: Der Aufwand stieg.
Irgendwann kamen findige Programmierer auf die Idee: Das müsste sich doch auch automatisieren lassen. Anstatt zig, wenn nicht sogar hunderte Unterordner und Unterseiten anzulegen, müsste man einfach ein Programm entwickeln, das dies automatisch erledigte.
Die Software Manila von Radio UserLand war (meines Wissens) eine der ersten, wenn nicht die erste, die genau das ermöglichte. Sie nahm dem normalen Nutzer die „Programmierarbeit“ in weiten Teilen ab.
Das neue Prinzip bewährte sich schnell. Aus gutem Grund: Eine solche Software demokratisierte die Möglichkeit digitalen Publizierens. Ohne tiefste Kenntnisse in Markup-Languages zu haben, wurde es plötzlich möglich, eine halbwegs ansehnliche Website zu haben, die nicht nur regelmäßig neue Inhalte ermöglichte (der Hauptgrund, auf eine Homepage zurückzukehren). Und nicht nur das. Weil Programme wie Manila die Inhalte auch in einer maschinenlesbaren Sprache (XML, Extensible Markup Language) syndizierten, konnten Nutzer bald wiederum spezialisierte Programme benutzen, die neue Blogbeiträge für sie einsammelten und in einer Art Inbox sammelten. Als Standard etablierte sich hier bald das ebenfalls von Radio UserLand eingeführte RSS-Format.
Neben Manila entstanden bald auch andere Softwares, die all das konnten – und sogar serverseitig. Denn während Manila die Struktur in einem Desktopprogramm zusammenstrickte, die man jedes Mal hochladen musste, machten andere das gleich im Internet. Ein weiterer früher Anbieter war Blogger.com, der – aus heutiger Perspektive betrachtet – recht schnell nach seiner Gründung von Google aufgekauft und für viele Jahre zum Quasi-Standard im regelmäßigen Web-Publishing wurde.
Warum es das und nicht der Blog heißt
Natürlich erhielten die Publikationen bald auch einen Namen: Weblog – eine Wortschöpfung aus Web (= World Wide Web) und Log(buch). Und weil das Logbuch ein Femininum ist, ist eben auch das Weblog korrekt. Irgendwann wurde aus dem (für das schnelle Internetzeitalter natürlich zu langen) Nomen Weblog das Wort Blog. Im Deutschen machten viele, die erst danach zu diesem Medium stießen, aus das Blog der Blog – ich vermute, weil es sich so ähnlich wie „der Block“ anhört und man ja irgendwie auch das Internet wie auf einem virtuellen Block vollschrieb. Und als sogar der Duden bei diesem „Quatsch“ mitmachte und beide Bezeichnungen erlaubte, waren hier alle Dämme gebrochen. Aber das nur am Rande.
Das Blog wurde für einige Jahre zum Standard für Publikationen im Web. Bald sprangen auch Medien (daran war ich nicht ganz unschuldig, aber dazu vielleicht mehr in einem anderen Beitrag), Unternehmen, Prominente usw. auf den Zug auf. Eine Zeitlang gehörte es quasi zum guten Ton, ein Blog zu betreiben. In dieser Zeit entstanden dann auch allerlei „Blogging-Softwares“, darunter auch eine namens WordPress. Heute ist WordPress nicht nur der Quasi-Standard für Blogs im Web, sondern auch das weitverbreitetste Content-Management-System.
Ich selbst begann, wie erwähnt, 2001, doch nach den Anschlägen vom 11. September verlor ich zunächst jegliche Lust daran. Nach diesem tiefen Einschnitt in unser westliches Selbstbewusstsein gab es zu jener Zeit eben nur noch dieses eine Thema.
Irgendwann startete ich das Late Night Blog, das ich dann einige Jahre betrieb. Funfact: Heute führt die Domain direkt auf dieses Blog.
Dieser Beitrag soll der Auftakt zu einer Miniserie sein, in der ich meine Sicht auf die Geschichte des Web-Publishings darstelle.